Die Geschichte
Ein Experiment in Demokratie
Hanna Jordan, die gemeinsam mit ihrer Mutter Henriette den Anstoss zur Gründung des Nachbarschaftsheims gab, beschreibt die Situation um den Bunker am Platz der Republik nach Kriegsende als ganz besonders dramatisch. Viele Wohnhäuser waren zerstört und die Menschen lebten im Bunker auf engstem Raum. Vor allem den Kindern mangelte es nicht nur an ausreichender Ernährung, sondern auch an Licht und frischer Luft. Es bestand keine Aussicht, in absehbarer Zeit in menschenwürdigen Wohnraum umziehen zu können. Erst 1957 konnten die letzten Bewohner den Bunker endgültig verlassen.
So wurde das von amerikanischen und schwedischen Quäkern erbaute Nachbarschaftsheim nach der Eröffnung im Juli 1949 für die Bewohner des zerstörten Stadtteils ein zweites Zuhause. Mit Hilfe der Quäker Helene und Karl Klein und einer großzügigen Spende wohlhabender Wuppertaler Bürger hatte Hanna Jordan bei einem Aufenthalt in Schweden die Bauteile für eine Baracke organisiert, sie für den Transport verpacken und nach Wuppertal verschicken lassen, wo sie dann an den Bunker angebaut wurden.
Im Nationalsozialismus hatten die Quäker verfolgten Juden zur Emigration und Flucht verholfen, nun waren sie die ersten, die nach Kriegsende den geächteten Deutschen Hilfe anboten, „ohne sie (…) von ihrer historischen Verantwortlichkeit für das Gewaltregime und seine Verbrechen“[1] zu entlasten. Es ging ihnen darum, intolerante und rassistische Einstellungen zu durchbrechen. Das Nachbarschaftsheim war als „Experiment in Demokratie gedacht, als Beitrag zur Förderung demokratischer Verhaltensweisen im Deutschland nach Hitler“[2].
Auch im 7. Jahrzehnt seines Bestehens haben die demokratischen und antirassistischen Grundsätze der Quäker im Nachbarschaftsheim immer noch Gültigkeit. Dabei wurde die Arbeit ständig weiterentwickelt und die Angebote an neue gesellschaftliche Erfordernisse angepasst.
Nach der Eröffnung spielte sich alles in der Baracke ab: moderne Formen der Gruppenpädagogik mit Kindern und Jugendlichen, die Verteilung von CARE-Paketen und die Nähstube, in der aus ausgedienten Armeemänteln und Fallschirmseide Kleidung hergestellt wurde. Am Abend tanzte die Jugend nach Musik, die noch vor wenigen Jahren als "entartet" verboten war. Und in den Ferien wurden Erholungsfreizeiten für kleines Geld angeboten.
Im Laufe der Jahre entstanden die unterschiedlichen Fachbereiche:
1952 wurde die Erziehungsberatung eröffnet, die erste Einrichtung dieser Art im Land NRW. In den 60er Jahren kam die Altentagesstätte hinzu, in den 70er Jahren wurde der Anbau für den Kindergarten erstellt und seit 1991 gibt es mit dem Internationalen Begegnungszentrum in der Alten Feuerwache an der Gathe einen zweiten Standort.
Gefördert durch das Landesprogramm Soziale Stadt konnte das Nachbarschaftsheim von 1998 bis 2011 nachhaltige Impulse in der Entwicklung des Stadtteils setzen und für sich selbst die Weichen neu stellen. 2003 zog die Einrichtung aus dem Provisorium der mittlerweile sehr baufälligen Baracke aus und bezog im ehemaligen Kirchengebäude und Pfarrhaus ein neues, schönes und einladendes Gebäude.
Nach dem Abriss der Baracke und des Bunkers wurde der Platz der Republik nach Ideen und Wünschen der Stadtteilbewohner neu gestaltet. Auf einem neu entstandenen Spielplatz tummeln sich Kleinkinder. Ein Bolzplatz wird von größeren Kindern bevölkert und Bänke laden überall zum Verweilen ein.
Seit 2012 thront die nach historischem Vorbild wieder errichtete Statue auf dem Gerechtigkeitsbrunnen. Das Original war 1944 für die Produktion von Munition eingeschmolzen worden. Wenn sich mehrmals im Jahr der Platz zum Festsaal für den Stadtteil verwandelt und sich bei Sommerfesten, Flohmärkten und Konzerten Stadtteilbewohner in ihrer ganzen Vielfalt treffen, kann man den Gründern des Nachbarschaftsheim zum geglückten Experment in Demokratie und Toleranz gratulieren.
[1] 350 Jahre Quäker, in: Magazin des deutschen Historischen Museums, Nr. 15 (1995/96) S. 25.
[2] A. a. O., S. 31.
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